Jeder mensch, jedes baby trägt in sich ein gefühl von selbstkohärenz. Damit meine ich ein gefühl dafür, was in jedem augenblick für das selbstsystem in abhängigkeit von äußeren gegebenheiten stimmig ist. Und es ist bemüht, solange es gesund ist, und ihm irgendeine art von kraft zur verfügung steht, diese selbstkohärenz, diese stimmigkeit des selbstgefühls aufrecht zu erhalten. Dabei drücken sehr kleine kinder schon ihre diesbezüglichen wünsche in vielfältiger weise aus. Und ich bin der meinung, dass es die aufgabe von uns erwachsenen ist, diese wünsche zu respektieren und ihre verwirklichung zu unterstützen insofern sie nicht zu offensichtlichem schaden für das kind führen werden. Dabei meine ich nicht vom jeweiligen erwachsenen innerlich ideologisch grundgelegte schäden, solche befürchtungen muss der betreffende erwachsene ehrlich hinterfragen, sondern unmittelbare verletzungen oder dergleichen.
Ich stehe mit einem kleinen kind, vielleicht ein jahr alt am geöffneten fenster in zweiten stock. Das kind sieht draußen etwas und will sofort hinaus, hinunter zu diesem interessanten. Natürlich werde ich das kind trotzdem nicht hinunterfallen lassen, damit es zu diesem interessanten hinkommt.
Von vielen menschen höre ich innerlich und schließe anhand ihrer aussagen und ihrer reaktionen, dass sie zweifel haben, ob die oben ausgedrückte sichtweise von der selbstkohärenz nicht schädlich ist und dadurch das kind zu übermäßigem eigensinn erzogen wird und das kind daher ganz bewusst nicht alles kriegen soll, was es gerade möchte, damit es beizeiten lernt, dass man nicht alles haben kann.
Diese letzte sichtweise würde ich als innerlich ideologisch begründet ansehen – und wäre dafür mit solchen sichtweisen sehr vorsichtig umzugehen. Meine persönliche haltung dazu ist, dass ich selber auch die dinge möchte, die ich mir „einbilde“ um es landläufig auszudrücken. Alles geht eh nicht, diese grenze setzt das leben und die materie früh genug. Daher dürfen meine kinder bzw. enkel all das haben, was sie gerade möchten, was in meiner macht steht und im bereich meiner möglichkeiten liegt. Und ich hab in bezug auf ihre entwicklungen die besten erfahrungen damit gemacht.
Was ist nun die augenhöhe, was beinhaltet diese haltung?
Für mich beinhaltet diese haltung mich in das kind einzufühlen, seine beweggründe verstehen zu wollen, sein weshalb und warum zu begreifen. Dieses begreifen ist nicht immer möglich, daher ist es nicht das maß, sondern das maß stellt der erfüllbare wunsch, das bedürfnis dar, auch wenn ich es nicht verstehe. Ich kann dieses nichtverstehen kommunizieren, auch sehr kleine kinder „verstehen“ den ehrlichen ausdruck einer befindlichkeit auch wenn sie noch lange keine begriff dafür haben. Es kommt darauf an, sich selber nicht „höher“ als dieses kleine verletzliche wesen zu stellen, sondern diesen kleinen menschen so ernst zu nehmen wie mich selbst.
Und wer sich selbst nicht ernst genug nimmt, ist eingeladen daran zu arbeiten. Selbstunsicheren eltern oder betreuern von kindern sei eine diesbezügliche auseinandersetzung mit sich selbst dringend empfohlen. Sie können für die kinder nichts besseres tun, als sich selber zu entwickeln um als persönlichkeit bei ihren kindern zu stehen.
Allzuviele missverständnisse zwischen kindern und erziehern werden als „bitzeln“ bzw. trotz bezeichnet. Mir kommt vor, dabei handelt es sich immer wieder um den von erwachsenen nicht verstandenen ausdruck der gefühle der kinder, sei es frustration, enttäuschung, wut, zorn, trauer, usw. das problem ist, dass erwachsenen, die diese gefühle in sich selber nicht spüren dürfen, weil sie seinerzeit darin nicht verstanden wurden oder der ausdruck ihnen aberzogen wurde bei anderen, also auch bei den kindern nicht erkennen und wahrnehmen können. Gerade heute hat mir eine frau erzählt, sie hat ihrem sohn das „bitzeln“ mit einem kübel kalten wassers aberzogen und das sei sehr schnell gegangen. Man stelle sich vor, man ist ganz in seiner enttäuschung oder anderen verletztheit gefangen und plötzlich kommt ein kübel kaltes wasser. Dieses gefühl werde ich danach abspalten, ich werde es mir nicht mehr erlauben, das zu spüren und kann auch andere mein leben lang darin nicht mehr verstehen, außer es wird mir, meist durch schmerzliche umstände bewusst und es gelingt mir daran zu arbeiten.
Daher halte ich auch diese allgemein in der psychologie üblichen begriffe beispielsweise der trotzphase für äußerst problematisch, weil sie dieses unverstehen zwischen erwachsenen und kindern zementieren und als normale gegebenheit darstellen.
Keiner dieser psychologInnen hat sich anscheinend je in ein kind hineinversetzt.
Natürlich ist es unangenehm, wenn das kind brüllt und schreit und sich auf den boden wirft. Einerseits meine ich, dass hier schon etwas früher das nicht verstehen oder zu wenig eingehen und kommunizieren stattgefunden hat. Kleine kinder verstehen sehr viel, wenn man sich die zeit nimmt und es ehrlich mit ihnen meint. Und wenn diese kommunikation ausbleibt, was soll der kleine mensch machen um sich gehör und gesehen werden zu verschaffen?
Und wenn der erwachsene dann trotzdem ratlos bleibt wäre es meiner meinung nach angebracht den kleinen menschen in seiner verzweiflung zu begleiten und nicht zu schimpfen und zu strafen. Oder zumindest den kleinen menschen in seinem sosein in ruhe zu lassen.
Einmal hatte ich eine derartige situation mit einem ca. fünfjährigen kind. Das kind weinte und schrie und schluchzte dann endlich: ich kann mich nicht mehr beruhigen. Also hab ich das kind fest, aber nicht klammernd, in den arm genommen und so hat es geschafft, wieder herunter zu kommen.
Ich behaupte, alle kinder können das. Leider haben die erwachsenen in der derzeit gestalteten welt weitgehend nicht die möglichkeit, genügend zeit, man müsste fast sagen musse in ihrem leben, diese dinge mit ihren kinder zu durchleben. Es gibt immer einen plan, das leben ist getaktet, die zukunft ist schon vorweg gestaltet, darin haben unmittelbare bedürfnisse und notwendigkeiten der kinder, die stolpersteine in diesem plan darstellen, keinen platz. Und da kinder nicht das wichtigste im leben der erwachsenen sind, sondern die erhaltung des eigenen lebens (und somit auch das der kinder), weil wir unsere welt derart gestalten, dass jeder/jede sich um sein/ihr wohnen, essen, kleiden selber sorgen bzw. raufen muss und somit für jedermann/frau eine grundlegende lebensunsicherheit herrscht – und das scheint die mehrheit der bevölkerung so zu wollen, sonst würden nicht jene politischen parteien an der macht sein, die diese lebenshaltung kultivieren, darum bleiben die kinder auf der strecke – die erwachsenen dadurch mit ihnen, aber sie merken es nicht, weil sie so sehr in ihren aktionen involviert sind.
Auf augenhöhe mit kindern würde bedeuten, dass wir die inspiration, die unsere kinder für uns bereithalten, annehmen und integrieren. Davon profitieren.
Wer weiß, wann es soweit sein kann.